Über einen Stopp der Gas- und Ölimporte aus Russland

Position Paper von Rezist Zürich

Seit Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine gibt es in deutschsprachigen Medien Stimmen, die sich gegen einen Stopp der europäischen Gas- und Ölimporte aus Russland aussprechen. Eine Argumentationslinie war zunächst die technische Unmöglichkeit und die Folgen für die europäischen Volkswirtschaften. Diese Linie ist bereits entkräftet worden, deshalb werde ich sie hier nicht weiterverfolgen.

Eine andere Argumentation, die vor allem in Schweizer Medien präsent war, stützt sich auf ein Interview des Militär-Ökonoms Marcus Matthias Keupp von der ETH Zürich von Mitte März auf Legal Tribune Online[1]. Er führt dort zwei Argumente an. Das erste lautet, der russische Militärschlag sei autark. Die Russen seien die zweitgrössten Waffenproduzenten der Welt. Das Material, das sie verwenden, gebe es bereits, ebenso wie Benzin und Kerosin. Was ihnen fehle, könnten sie aus eigenen Ressourcen produzieren, unabhängig von den Erlösen aus dem Öl- und Gasexport.

Das zweite Argument ist, dass ein Stopp der Öl- und Gasexporte in erster Linie die Versorgung der Bevölkerung beeinflussen würde. Aber die russischen Eliten haben sich noch nie um das Wohlergehen der Bevölkerung gekümmert.

Beide Argumente klingen auf den ersten Blick plausibel.

Das erste Argument ist das schwächste, also fangen wir damit an. Die Logik des Rohstoff-Einfuhrstopps aus Russland besteht nicht darin, Russland direkt die militärischen Mittel zu entziehen, sondern 40-60 % der Aussenhandelseinnahmen. Die russische Staatspropaganda hat von Anfang an behauptet, dass die Regierung sich um Sanktionen nicht scheren würde, weil sie die Bevölkerung jederzeit versorgen kann. Das primäre Ziel eines Importstopps besteht darin, der russischen Bevölkerung aufzuzeigen, dass sie von ihrer Regierung belogen wurde.


Ist das sinnvoll, auch wenn die Bevölkerung derzeit keine Möglichkeit hat, Putin zur Verantwortung zu ziehen? Ja, und zwar weil die Autarkie der russischen Kriegsmaschinerie eine Illusion ist.
Bestandteile für moderne Waffen importierte Russland schon vor der Invasion, zu denen es jetzt keinen Zugang mehr hat[2]. Eine Armee braucht zudem nicht nur Waffen, Munition und Benzin. Sie muss auch mit Lebensmitteln, Kleidung, Medikamenten und Hygieneartikeln versorgt werden, an denen es langsam, aber sicher mangelt[3]. Das fehlt zuerst den Familien der Soldaten, dann den Familien der Unteroffiziere und so weiter. Nach und nach wird die gesamte Befehlskette ausgehöhlt.

Ein merkwürdiges Argument gegen den Importstopp wurde von der SVP vorgebracht und hängt mit einer spezielleren Auslegung der schweizerischen Neutralität zusammen[4]. Diese Haltung hat wahrscheinlich auch den SVP-Vertreter in der aussenpolitischen Kommission des Nationalrats dazu bewogen, den Antrag von Fabian Molina (SP) zu blockieren[5], der die Öl- und Gasimporte aus Russland stoppen will.

Bei dieser Auslegung würde der weitere Öl-Kauf von nur einer der Konfliktparteien (vom Aggressor!) nicht einseitig einer Seite zugutekommen, wohl aber die Einstellung dieser Importe. Wäre diese Argumentation nicht klar widersprüchlich, könnte man ferner fragen, ob die Neutralität das einzige Prinzip der Schweizer Aussenpolitik ist. Natürlich ist sie das nicht[6]. Genauso wichtig ist die Friedensförderung. Dem Aggressor die Mittel für die Fortführung der Aggression zu entziehen, dient dem Frieden offensichtlich mehr, als diese weiterhin zu finanzieren.

Der Grund, warum immer wieder fantasievolle Argumente gegen die Sanktionen – auch gegen einen Stopp von Öl- und Gasimporten aus Russland – auftauchen, sind wirtschaftliche Interessen. Diese Lobby versucht zu vermitteln, dass genug getan wurde, dass es reicht, ein neues Format für Friedensgespräche vorzuschlagen, oder ein paar Friedensfahnen zu schwenken, um uns von jeder menschlichen Verantwortung für die Geschehnisse in der Ukraine entbinden.

Es ist wichtig, uns daran zu erinnern, warum Putin die Ukraine angegriffen hat. Eine freie Ukraine, mit freien Wahlen, mit einer freien Presse. Sie hat seit Februar 2014 bewiesen, dass die Demokratie sehr gut mit der Kultur jeder ehemaligen Sowjetrepublik vereinbar ist. Und dass Putin keine slawischen oder eurasischen Werte verteidigt, sondern bloss eine gierige und brutale Elite.


Die Ukraine ist somit der Beweis, dass Demokratie in Weissrussland und dereinst auch in Russland funktionieren würde. Das macht Putin so viel Angst, dass er Zehntausende von jungen Russen unter fadenscheinigen Vorwänden in den Tod schickt.

Es gibt daher keinen Grund, warum Moldawien, Georgien und die baltischen Republiken ihm nicht ebenfalls Angst machen sollten[7].


[1]    https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/wirtschaft-russland-krieg-putin-embargo-ukraine-militrkonom-keupp/, abgerufen am 25.04.2022

[2]    https://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise/mixer-waschmaschinen-kampfpanzer-bosch-fuer-putins-krieg-viel-deutsche-technik-steckt-in-russischem-kriegsgeraet_id_68970379.html, abgerufen am 25.04.2022

[3]    https://www.blick.ch/wirtschaft/leere-regale-und-massen-ansturm-auf-laeden-zuckermangel-in-russland-id17327574.html, abgerufen am 25.04.2022

[4]    „Als neutrales Land sei die Schweiz dazu verpflichtet, keine der Konfliktparteien einseitig zu bevorteilen“. In https://www.bote.ch/nachrichten/schweiz/svp-lehnt-sanktionen-ab-und-fordert-zusaetzliche-2-milliarden-franken-fuer-schweizer-armee;art177490,1380104, abgerufen am 25.04.2022

[5]    https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/krieg-in-der-ukraine-aussenpolitische-kommission-lehnt-oelboykott-nur-hauchduenn-ab-ld.2272637, abgerufen am 25.04.2022

[6]    Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit bilden das Fundament für Wohlstand und nachhaltige Entwicklung. Die Aussenpolitik stärkt dieses Fundament. In https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/aussenpolitik/strategien/aussenpolitischestrategie.html, abgerufen am 25.04.2022

[7]    https://www.ted.com/talks/garry_kasparov_stand_with_ukraine_in_the_fight_against_evil, abgerufen am 25.04.2022

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